Der Zahlungsverkehr als „Lebenselixier der europäischen Wirtschaft“ ist eines der interessantesten Gebiete, in dem wir in den nächsten Jahren elementare Entwicklungen beobachten können. Dies wird nicht zuletzt deutlich bei Betrachtung der EU Retail Payments Strategy (RPS), die von der Europäischen Kommission im September 2020 veröffentlicht wurde. Ziel der EU Retail Payments Strategy ist es, die Entwicklungen im Zahlungsverkehr für die nächsten Jahre nach einer klaren Vision zu leiten. Wie sich die RPS auf die Geschäftsmodelle von Banken auswirkt, haben wir genauer betrachtet.
Automatisierte, unsichtbare Bezahlprozesse über Wearables oder Körperteile, Netzwerkeffekte der BigTechs oder Krypto-Token zum Austausch von Werten zwischen Maschinen im Internet of Things – dies ist nur ein kleiner Auszug aktueller Entwicklungen. Mit Innovationen geht häufig auch eine Veränderung von Marktaktivitäten einher, die Unternehmen mit neuen Situationen konfrontieren. Bestehende Spielregeln müssen überdacht und neue aufgestellt werden.
Das Ziel der EU Retail Payments Strategy ist nicht nur eine Reglementierung, sondern auch eine Gesetzeserweiterung, um dem technologischen Fortschritt einen Rahmen zu geben und der Gesellschaft zugänglich zu machen. Konkret besteht die RPS aus vier Säulen, die jeweils eine Reihe von Schlüsselaktivitäten beschreiben und mit Maßnahmen verknüpfen, die aus Sicht der EU-Kommission zur Realisierung ergriffen werden müssen.
Die vier Säulen der EU Retail Payments Strategy
Säule 1: Europaweite Reichweite für Sofortzahlungen
Das „New Normal“ Instant Payment bildet den Schwerpunkt der Strategie und sieht die flächendeckende Etablierung des SEPA Credit Instant Scheme (SCT Inst. Scheme) als gesamteuropäische Zahlungslösung vor, verknüpft mit der Förderung der Unabhängigkeit des Euro und einer Interoperabilität in Europa.
Ansatzpunkt der EU-Kommission ist das bis Ende 2021 vollständig einzuführende, kanalübergreifende Instant Payment System. Dieses ermöglicht, dass Sofortzahlungen flächendeckend und mit vergleichbarer Preisgestaltung zu analog bestehenden SCT-Verfahren Realität werden. Nachdem der Freistellungszeitraum aus der SEPA-Verordnung bereits im November 2020 abgelaufen ist, kann von einer weiteren Fristverschiebung nicht ausgegangen werden. Stattdessen prüft die EU-Kommission die Möglichkeit, Zahlungsdienstleister vor Jahresende 2021 mittels Rechtsvorschrift zum Beitritt zum SCT Inst. Scheme zu verpflichten.
Für Banken bedeutet dies, dass Sofortzahlungen nicht mehr mit Zusatzkosten bepreist werden sollen und sie entsprechend neue erlössichernde Gebührenmodelle entwickeln müssen. Zudem müssen Banken eine effiziente Chargeback-Möglichkeit (Käuferschutz) für Sofortzahlungen entwickeln und für eine grenzüberschreitende Interoperabilität ihrer IT-Systeme sorgen.
Ein weiteres Ziel der EU-Kommission ist es, die Interoperabilität Europas durch elektronische Identifikation (eID) für den öffentlichen Sektor und Zahlungsverkehr zu fördern, indem die eIDAS (die EU-Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt) weiter verbessert wird. Hierdurch soll eine starke Kundenauthentifizierung gemäß PSD2 (Payment Service Directive 2) erfüllt werden. Ein länder- und institutsübergreifendes Identifikations- und Authentifizierungsmittel ist somit denkbar und bietet für Banken die Chance, neue Kunden und Geschäftsfelder durch das Angebot von “Vertrauensdiensten” zu gewinnen.
Letztlich geht es auch um die Einführung von digitalem Zentralbankgeld (CBDC) für Massenzahlungen. Hierin sieht die EU-Kommission einen möglichen Ansatzpunkt zur Förderung der „offenen strategischen Autonomie“ Europas. Je nach Gestaltungsform ergeben sich für Banken unterschiedliche Risiken und Chancen. Lesen Sie mehr zum Potenzial von programmierbarem Geld in unserem CBDC-Whitepaper.
Säule 2: Innovative und wettbewerbsfähige Märkte für Massenzahlungen
Die EU-Kommission sieht großes ungenutztes Potenzial in einer Erweiterung der PSD2, wenn nicht gar einer neuen Payment Service Directive. Auch zwei Jahre nach Inkrafttreten der Regulierung fehlt eine vollständige Umsetzung der starken Kundenauthentifizierung im elektronischen Handel. Zudem stehen Drittdienstleister immer noch vor großen Herausforderungen bei der Anbindung an Zahlungskonten über API-Schnittstellen, obwohl dies ein Eckpfeiler der PSD2 darstellt.
Dies hat die EU-Kommission u.a. dazu bewegt, eine umfassende Überprüfung der Anwendung und Auswirkung der PSD2 einzuleiten, um bis Mitte 2022 einen Legislativvorschlag für ein neues „Offenes Finanzwesen“ vorzulegen. Zentrales Thema werden mit großer Sicherheit maßgebliche Regulierungen zur Unterstützung des Open Bankings sein.
Säule 3: Technische Interoperabilität
Zukünftig müssen Zahlungsdienstleister sich nicht nur dem SCT Inst. Scheme anschließen, sondern auch für eine grenzüberschreitende Erreichbarkeit ihrer IT-Systeme sorgen, um die Verfügbarkeit des Euro auf andere Währungen in der EU auszuweiten. Aktuell herrscht eine starke Heterogenität technischer Infrastrukturen in den einzelnen Märkten mit unterschiedlichen Lösungen, die vielfach nicht miteinander kompatibel sind. Die EU möchte im Sinne der Wettbewerbsförderung und Vermeidung von Monopolstellungen erreichen, dass Zahlungsdienstleister interoperable Systeme zur Verfügung stellen. Als Konsequenz sind hohe Investitionen für den (Teil-)Neubau der technischen Infrastruktur zu erwarten. Gleichzeitig befürchten Zahlungsdienstleister eine höhere Wettbewerbsintensität, wenn sich neue Player den Regeln der EU anpassen und durch das Aufweichen von Marktgrenzen und -struktur im Markt positionieren.
Säule 4: Effizienter, internationaler Zahlungsverkehr
Das vermutlich ambitionierteste Ziel der EU-Kommission ist es, Sofortzahlungen auch im internationalen Zahlungsverkehr einzuführen. Langfristig betrachtet können dadurch grenzüberschreitende Zahlungen schneller, erschwinglicher, transparenter und bequemer werden. Die zentrale Maßnahme ist die Erleichterung der Verknüpfung von TARGET Instant Payment System (TIPS) und RT1 als europaweites Sofortzahlungssystem der EBA Clearing mit Sofortzahlungslösungen von Drittländern. Hinzu kommt die Angleichung der Ausführungszeit für „One-Leg-Transaktionen“ (ein Teilnehmer in der EU) an „Two-Leg-Transaktionen“ (beide Teilnehmer in der EU).
Ausblick
Die Betrachtung der einzelnen Säulen zeigt es: die EU Retail Payments Strategy hat es in sich! Die EU-Kommission hat ein klares Bild vor Augen, wie die Zukunft des europäischen Zahlungsverkehrs aussehen soll. Der Handlungsdruck für Marktteilnehmer ist entsprechend groß, sonst drohen weitere, strengere regulatorische Vorschriften.
Das regulatorische Zielbild wird das gesamte Ökosystem beeinflussen. Banken haben die besten Chancen, ihre eigene Position im Rahmen der Retail Payments Strategy zu stärken, indem sie ihre gemeinsamen Ziele bündeln, wie es aktuell in der European Payment Initiative (EPI) geschieht. Nur so können sie die Entwicklung des europäischen Zahlungsverkehrs selbst in die Hand nehmen und eigene Geschäftsmodelle entwickeln, anstatt auf weitere Regulierungen zu warten, die zweifelsohne zeitnah auf sie zukommen werden. Damit haben Banken die Chance, ihre Wirtschaftlichkeit als Basis für strategische Entscheidungen zu nutzen und überlassen dies nicht der EU-Kommission.
Wo stehen Sie bei der Umsetzung von RPS-relevanten Themen? Welche Möglichkeiten ergeben sich für Ihr Sie und welche Maßnahmen sollten Sie priorisieren? Wir unterstützen Sie bei der Portfolio- und Impact-Analyse und überprüfen gemeinsam mit Ihnen Ihre Handlungsoptionen, so dass Sie sich erfolgreich im Rahmen der EU Retail Payments Strategy positionieren können.
* Lesen Sie die Zusammenfassung der EU Retail Payments Strategy hier.